Weißbrotmusik
Textauszug
Die haben Sedat weggesperrt.
Die haben meinen Mann weggesperrt. Die haben den Vater meines Kindes, meines ungeborenen Kindes mir weggenommen. Weg.
Die sagen, da kommt er nicht raus. Die sagen, wenn er raus kommt ist er ganz weg. In die Türkei. Muss er. Darf hier. Hier nicht bleiben. Das darf er nicht mehr, weil die solche hier nicht haben wollen.
Aron darf bleiben. Wohin wollen sie auch mit ihm. Er ist hier geboren. Sedat auch. Aber für solche wie Sedat gibt es ein Auffangbecken drüben, eine Abladefläche für die Kinder der Müllmännergeneration. Das habe ich aus der Zeitung. Die sagen, unser türkischer Mitbürger, unser jüdischer Mitbürger. Langer Artikel, habe ich nicht ganz gelesen, ich glaube, die schreiben sie absichtlich so klein, dass man keine Lust hat genau zu lesen und die ganzen Lügen einfach überliest. Es ging um Aron. Sedat haben sie am Anfang und zum Schluss nur kurz erwähnt, ich glaube, sie wollen ihm die ganze Schuld zuschieben, weil er älter ist. Und Türke. Der Artikel, da ging es darum, dass ein Jude einen Deutschen angegriffen hat. Zündpotential. Das erste mal, schreiben sie. Der Alte war noch im Krieg gegen die und da gehen die Jungen auf die Alten los und ach weiß ich nicht, was sie zusammen spinnen ergibt keinen Sinn. Nur eins klar: Skandal, schreiben sie. Aber was ist genau Skandal? Wie weit seine Wurzeln hier in den deutschen Staat reichen wollen sie testen, ist er Deutschjude, ist er Deutscher mit fremden Wurzeln oder was ist der überhaupt, ich habe nur verstanden. Sie wollen ihn irgendwie fassen, bei den Wurzeln, sein Handeln. Gefahrenpotenzial. Kann man schon testen, an den Genen ablesen. Die schneiden da in dein Fruchtwasser rein und testen dein Ungeborenes.
(schaut auf ihren Bauch)
Aber wohin soll ich mit dir? Wenn ich dich schon nicht in mir drin verstecken kann, wohin sollen ich dich wegbringen vor ihnen?
Der Alte will nicht vergeben. Der will Sedat nicht die Absolution erteilen. Einfach okay sagen, ´tschuldigung angenommen oder. Vergebung ist nichts für Christen. Das ist nicht ihre Stärke. Können sie nicht. Das wäre auch nicht so wichtig, dachte ich, Sedat bringen sie auch mit Vergebung weg von mir, aber irgendwie denke ich, ein Mensch, der nicht vergeben kann, der ist gar keiner. Ich habe ihn gesehen. Heute Nacht habe ich ihn ganz deutlich in meinem Traum gesehen. Ich habe geträumt, ich gehe zu ihm ins Krankenhaus. Das war so ein großes, sehr weiß. Die Gänge leer und ich wie taub. Da liegt er auf dem Bett und starrt die Decke an. Er ist fast ganz heile, nicht wie die Zeitungen schrieben, nur am Kopf ein paar braune Nähte. Sein Kiefer hängt. Er ist Verwachsen und grünlich weiß und die Augen stechen heraus. Er trägt so ein gepunktetes Nachthemd, die faulende Haut ist nur im Gesicht und an den Händen sichtbar. Die Finger sind krumm zur Faust. Er liegt da und schmatzt ab und zu. So ein Zungeeinziehen und Spuckewiederkäuer Geräusch.
Ich schließe die Tür, schaue ihm in die Augen, lege die Arme um ihn, zerre ihn auf den Boden und trete auf seinen zusammengeflickten Schädel ein. Bis ich knietief in ihm drin bin. Ich und mein Baby, wir beide. Drauf! Drauf! Drauf! Fühle sein Hirn zwischen meinen Zehen, die Flipflops machen das Schmatzgeräusch, das Blut spritzt bis unter den Rock. Ich bin auf ihm rumgesprungen wie eine Wildsau und er hat dabei Parolen ausgestoßen. Und immer wieder KEINE VERGEBUNG KEINE VERGEBUNG KEINE VERGEBUNG. Scheiß drauf.
Ich hab da ein vergessenes, ein nie gehabtes, ich habe es mir nie gewünscht, so nicht, habe nie da gesessen und es mir ausgemalt, ich hatte manchmal nur dieses Gefühl, wie einen Geschmack auf der Zunge, ganz kurz-
Brötchen, warme, die ich eigentlich nicht mag, am Frühstückstisch und ich mag sie nicht, aber es ist schön wie sie liegen im Korb und noch warm, wie hast du das gemacht, frage ich mich, sie warm zu halten, und die übersüßte Erdbeermarmelade und Orangensaft, hast du mit der Hand gepresst, paar Kerne schwimmen in meinem Glas, als ich noch schlief, hast aufgedeckt, Messer, Gabel, Löffel für den Joghurt mit Frucht und Bakterien und ich lache über Bakterien – wer will schon so was essen – und du lächelst zurück und bietest mir Butter an und Käse und Muffins von gestern, die übrig geblieben sind von dem Abend, als wir auf dem Dach saßen, wo es rutschig war, aber du hattest eine Matratze hingelegt, wir hatten Cola und Muffins und die Decke, die nach Hund roch und haben Sterne geguckt und uns und du hast versucht zu singen, aber – du kannst es einfach nicht – was war das? Baging baging you? Und ich sitze da am Tisch und suche deinen Fuß mit meinem unter der langen Tischdecke, kariert in gelb und orange, lache auffällig oft, aber leise. Echt. Du bist so schön. Du siehst so schön aus. Das denke ich, will deine noch nassen Haare anfassen, aber ich habe Marmelade an den Händen, also stelle ich es mir vor, ich stelle es mir vor, wie ich es mir vorstelle und du gießt noch Tee, Kaffee, Sekt nach und redest ununterbrochen. Irgendwas. Und das Licht scheint durch deine Ohren.
Weißbrotmusik in der Presse:
Filmbeitrag zu „Weißbrotmusik“ auf tv.berlin
Weissbrotmusik Videotrailer / WIENER WORTSTAETTEN
„Weißbrotmusik“ auf theaterblick.com