Wutvögel singen wieder
Angry Birds – Wutvögel singen wieder (Auszüge)
MARIANNA
Wie kann es sein, dass du in meinem Sessel saßt, der Filter meiner Kippe ist noch feucht von deinen Lippen und nicht auf mich gewartet hast? Sind sie gekommen und haben dich geholt? Ich bin ziemlich sicher, dass nicht, ich wäre die erste, die davon unterrichtet worden wäre und die Wände wären nicht so weiß geblieben. Also wo bist du und warum nicht hier?
Ich bin ans Schwarze Meer gefahren. Dort sind zwei menschliche Fliegen um mich herumgereist. Das ist kein gutes Zeichen. Sie hatten Helme auf und hingen mit Fäden an Fallschirmen mit Düsenantrieb. Ich habe sie von weitem gesehen, war zuerst unsicher, ob sie mich meinten. Keiner konnte wissen, dass ich hier bin. Ich habe mich von meiner Villa aus in einen Dolmuş gesetzt, dann in den Bus, dann ins Taxi, ich fuhr so weit, bis ich nur noch grün sah und das Schwarze Meer war ein dunkelblauer Horizont. Ich sprang ins salzige Wasser, meine Augen brannten, aber ich musste sie reinigen, meine Ohren füllten sich mit Wellenrauschen und ich habe sie für kurz nicht mehr gespürt, diese tiefe Angst, dass ich euch nicht finden werde.
Die Villa, die mir vom Veraffungsschutz zugeteilt worden ist, schaut tief in den Bosporus, am Eingang sind Pförtner, sie wechseln sie aus, um sicher zu gehen, dass ich keinen von denen austrickse, betöre, was weiß ich was sie vermeiden wollen und lassen nachts Wachhunde über den Garten jagen.
Hinter dem Garten ist ein Wald, in diesem ein Zelt aus festem Cellophan. Es ist so groß, da würde eine Hochzeitsgesellschaft reinpassen. In ihm hängt ein Kronenleuchter. Die Wände zittern im Wind und man sieht die Sterne durch die durchsichtige Plastikdecke.
Eine ganze Nacht stand ich da drin und stellte mir vor, wie es wäre, mit dir und den anderen unter dem plastiküberzogenen Himmel zu tanzen zu Famous blue raincoat. Oder zu singen, tanzen kann man zu Leonard ja nicht so richtig.
Ich habe ihn gesehen. Er stand vor mir und ja, der Mantel war an der Schulter gerissen. Ich sah sein Gesicht groß an den Häusern und kaufte mit ein Ticket fürs Konzert. Ich saß ganz oben rechts und schaute auf den Hutscheitel des Meisters. Seine Backroundsängerinnen waren blond und machten während des Singens Rollen nach hinten. Ich holte mir einen Kaffee und kämpfte mich nach vorne zur Bühne. Als ich genau vor ihm stand, sang er So long Marianne und für kurz habe ich mir dich eingebildet. Ich habe mir eingebildet, du stehst auch irgendwo nicht weit von mir und singst mit. Und dann wurde ich zurückgeworfen nach Tarabya, in meine Villa, auf meine deutschen Gräber, auf denen ich bleiben darf, bis ich euch ausfindig gemacht habe.
Sie gehen davon aus, dass ihr euch irgendwo in Fatih versteckt, wer weiß warum, aber für mich ist das ein guter Grund ins Pierre Lotti aufzusteigen, auf die Stadt zu schauen und viel viel Cay zu trinken auf die Kosten des Veraffungsschutzes. Ich kann mich mittlerweile kontrollieren, wenn von türkischer Hissbolah die Rede ist, ich muss nicht mehr so laut lachen, ich habe eine überdeminsionale Ray Ban gekauft, hinter der verstecke ich all meine Lachtränen.
„Heißt in diesem Terrornetzwerk nicht jemand „Hamas“ mit Nachnamen?“ Ich pruste in mein Glas und entschuldige mich. Aus irgendeinem Grund sind die ganz geduldig mit mir. Sie lassen mir Zeit, sie geben mir Geld, sie bezahlen mir einen Urlaub am Bosporus und fragen noch, wie sie mir behilflich sein können. Sie fragen nicht nach meinen Methoden und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht meinen Briefwechsel kontrollieren.
Der Botschafter will mich morgen sehen. Das ist hoffentlich nur Routine. Vielleicht empfängt er alle V-Frauen und Männer. Vielleicht auch nicht, dann erzähle ich ihm etwas vom wachsenden Antisemitismus in Deutschland.
Ich habe eine der Fliegen dort am Meer erkannt, die um meinen Kopf gekreist sind am Meer – er ist auch vom Veraffungsschutz. Ich bin mir sicher. Ich habe ihn wieder erkannt, er war gestern im Konsulat, als ich zum Fazıl Say Konzert ging. Fazıl Say ist übrigens auch ein V-Mann und macht zombiehafte Gesichter, wenn er in sein Klavier greift.
Dann landete ich in einem Club und fragte mich, wer einen Saal mit Stuck an der Decke „Ghetto“ nennt.
Dann stieg ich auf die Terrasse von Büyük Londra und spürte diesen stechenden Wunsch für immer dort zu bleiben.
Der Anblick auf den Bosporus und die Lichter, die die Hügel nachzeichneten und die Häuser und jeden einzelnen Menschen im Inneren und dann die Brücke zu Asien im Dunst der Autoabgase, über allem lag ein Film, ich konnte ihn schmecken, atmete ihn ein und ging zur Bar, um mir den nächsten Rakı zu holen. Dort saß ein Schauspieler, denen die meisten in Deutschland aus einem Film kennen, wo er gegen die Wand fährt. Ich kenne ihn vom Tanzen im Ballhaus in der Naunynstraße. Wir redeten nicht viel, er rollte Zigaretten und sein Hut sank immer tiefer ins Gesicht und ich trank. Ich zog meine gefärbten Locken immer mehr zurück aus der Stirn und hinter die Ohren. Ich war nicht verliebt, versteh mich nicht falsch, aber ich dachte, es ist jemand wie wir – er versucht auch das Verschwinden.
Bevor ich mich traute etwas zu sagen, legte er 50 Lire auf die Theke und ging. Ich schlürfte den roten, gold verzierten Teppich Stufe für Stufe hinunter, vorbei an der Jukebox, dessen Lieder ich nicht kannte. Ich setzte mich erschöpft auf die Treppe – ich hatte das Gewicht plötzlich gespürt, diese Angst kam wieder, dass ich euch nicht finde. Russische Touristen in Netzshirts kamen und machten Fotos mit mir, als wäre ich eine Statue, sie legten ihre Arme um mich. Leuten kamen und gingen, ich blieb. Ich war wie eine Pflanze mitten auf den Stufen, ich beschloss meine Wurzeln in den Marmor zu schlagen. Irgendwann schmissen sie mich raus.
Man kann nicht weg wollen, wenn man schort dort ist.
Heute beschloss ich an das Schwarze Meer zu fahren. Und du warst hier in meinem Zimmer. Warum warst du genau dann da, warum, warum sollten wir nicht zusammenkommen?
Die menschlichen Fliegen bedeuten, sie sind mir auf den Fersen. Und ich hoffentlich euch. Emre, seid vorsichtig, sie schießen ohne Warnung. Wenn ich euch vor ihnen gefunden habe, dann kenne ich jetzt paar Leute, die werden uns helfen zu verschwinden.
Ich habe Schwarz Meer Sand in meinem Mund und es regnet. Ich fahre mit der Zunge über mein ganzes Gesicht.
So wie Henry Miller irgendwann Val hieß und June Mona – ab sofort bist du Emre und ich Sascha.
Ich erzählte einer Frau in Cihangir von uns, sie will uns aufnehmen. Komm zurück.
DENIZ
Ich war da. Ich habe dem Regen in deinem Zimmer den Mund geöffnet. Und dann haben mit die Veraffungsbeamten rausgeschmissen. Die dachten, ich wäre der Cousin vom Pförtner. Für so einen verschwenden die keine Folterzeit. Mal Abgesehen davon, dass die ja meistens ohnehin nur die Folter deligieren. Wer weiß, vielleicht haben die mich nach Syrien delegiert und ich schaue bald – gefesselt an einen kaputten Holzstuhl, Kabelenden an den Ohrläppchen – in die Bürokratenfresse von Assad. Die ganze Welt nimmt’s ihm dann übel und deine Jungs von der Veraffung grunzen sich ins Fäustchen. Ich war übrigens auch bei Cohen und ich stand hinter einer Frau mit Locken als er So long Marianne gespielt hat.
Jetzt bin ich zurück. In diesem Gerümpel, dem du immer wieder entfliehst und dessen Asphalt immer mehr zu Betonklötzen an meinen Füßen wird. Ich fühle mich sogar einigermaßen sicher hier. Die wissen ja nur, wer ich bin, wenn wir zusammen sind. Ohne dich funktioniert meine Tarnung als Cousin des Pförtners. So komme ich sogar in die Sitzungen des Ausschusses zu den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds. Die nehmen meinen Pass entgegen – ich benutzte zur Zeit übrigens wirklich die „Emre-Identität“ – drücken mir eine orangefarbene Karte in die Hand, wo Gast drauf steht und ich bedanke mich höflich, weil ich endlich bescheinigt bekomme, in welche Schublade ich gehöre. Und dann sitze ich Stunden lang in dem Kopf des befragten Ministers. Der sitzt nämlich unter mir dem Ausschuss gegenüber, und ich eine Etage über ihm, sitze auch dem Ausschuss gegenüber und wenn der Minister spricht, mit seiner tiefen, geschulten, formulierungssicheren Stimme, ist es als würde ich sprechen, als würde der Ausschuss mich befragen. In einigen Momenten, in denen ich mich vergesse, freue ich mich sogar darüber, wie ich den Ausschuss verhöhne und wie der Ausschuss sich von mir verhöhnen lässt, weil er nicht anders kann, weil er nur bis zu einem bestimmten Punkt fragen kann, bis zu einem bestimmten Punkt und nicht weiter, genauso wie dieses ganze Land nur bis zu einem bestimmten Punkt und nicht weiter Fragen kann. Nämlich bis zu dem Punkt, an dem sich die Fragen aufheben und wo jede Empörung nur eine Empörung über erträgliche Dinge ist, über die Dinge, wie sie doch – und das wiederholt sich das ganze Land immer wieder – nur im Ausland, in entlegenen Gebieten und totalitären Regimen (denn Deutschland ist eine Demokratie!) stattfinden. Während ich also Stunden lang den Ausschuss verhöhne, in dem ich genau an dem Punkt, wo der Ausschuss nicht weiter Fragen kann, weil er es über den Tellerrand dieses Landes eben nicht hinaus schafft und auch nicht schaffen will, in dem ich genau an diesem Punkt, ewig lange und ewig repitetive Ausführungen mache über Belanglosigkeiten und das mit einer Stimme eines wichtigen, eines sicheren, eines souveränen Mannes. Und ich erzähle, dass ich alles richtig gemachte hätte, dass ich heute nichts anders getan hätte und dass es ja jetzt, wo wir doch alle wissen, dass alles, alles in diesem Land seine Richtigkeit habe (bis auf eben diese Kleinigkeiten, die aber relativ zu anderen Ländern immer noch gut funktionierten), es lediglich darum gehe, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden dieses Landes wieder herzustellen und deshalb allzu kritische Fragen fehl am Platz wären.
Sascha!
Nenn mich Emre.
Vergiss Henry Miller. Ein Mann, der sich seitenweise an dem Blut einer Jungfrau aufgeilt, die er eben genüsslich und gegen ihren Willen entjungfert hat, ist kein Mann, auch keine Frau, auch kein transgender Mensch, sondern ein Haufen Elend. Der sicherlich, wie alle, wie jedes einzelne Scheißgeschöpf, auch in der einen oder anderen ausweglosen Lage etwas zu erzählen hat.
Sascha! Das ist jetzt nicht so, wie nach den Wahlen in Berlin, wo du mit drei Baseballschlägern angereist bist und wir inglorious Bastards gespielt haben. Es geht nicht mehr um Nazis, es sitzt tiefer. Tiefer in dieser Gesellschaft, tiefer in dir und mir, tiefer in diesem Staat. In diesem Tiefen Staat
SASCHA
Das ist es jetzt, Emre, wir sind im Krieg. Ich weiß nicht, ob du noch hier im Lande bist, ich hoffe innständig nein, aber das bedeutet auch, dass du vielleicht wissen, aber nicht fühlen kannst, dass der Krieg hier einmarschiert ist. Der Western exportiert ihn und der Osten kauft ein. Ich stehe dazwischen in einer dünnen Wand aus Hitze.
Als wir, eine andere V-Frau, die wie ich nur zur Tarnung mit dem Staat kooperiert, in Antakya ankamen fielen die ersten Raketen auf türkischen Boden. Wir wollten näher an die Grenze, vielleicht sogar nach Syrien rein, um uns ein Bild zu machen. Antakya ist 50km entfernt von ihr und ein biblisches Paradies. Wortwörtlich. Hier hat Moses seinen Gehstock in den Boden gerammt, unter dem das Wasser des Ewigen Lebens floss und der Stock ist zum ältesten Baum des Nahen Ostens gewachsen. Hier hat Noah für seine Passagiere Asura gekocht. Wir sind hin, wegen anderen. Die Südöstliche Region Hatay ist die liberalste des Landes, so sagt man – hier leben Aleviten, Armenier, Juden, Christen und vor allem Linke und Anarchisten zusammen seit Jahrhunderten. Uns ist zu Ohren gekommen, dass sich das bald ändern soll, dass der Krieg in Syrien für Destabilisierung benutzt wird. Wir wollten wissen, was das heißt.
Die Männer saßen an einem mit Zeitungen übersäten Tisch und gossen uns immer wieder Çay nach. Sie redeten schnell. Ich verstand nur Bruchfetzen: CIA, Mossad, Flüchtlinge, Fake Flüchtlinge. Allesamt waren sie Lehrer, die eine Demonstration organisiert hatten am Menschenrechtstag, die zur größten der Geschichte der Region Hatay wurde. 15.000 Leute füllten die Straßen der Kleinstadt und schrieen nach Frieden zwischen ihren syrischen Schwestern und Brüdern. Sie schrieen nein zum Waffenexport, sie schrieen an gegen die Söldner, die bezahlt wurden die Flüchtlingscamps zu infiltrieren.
Als wir raustorkelten gingen wir ohne Orientierung. Wir wussten nicht, was wir glauben sollten. Wir wussten, dass nachts Bewaffnete durch die Stadt liefen und der Bevölkerung Antakyas Angst machten.
Wir setzte uns in einen Kuaför Salon rein und hielten unsere Fingernägel hin, damit die Frau leichter redete. Aus ihr sprudelte es nur raus: Sie hat Angst nachts, sie hat Angst vor dem Krieg, der ausbrechen wird. Während sie uns blau und dunkelrot anpinselte, erzählte sie ihre Familiengeschichte und dass die Türkei und Syrien Schwestern sind, die Familien verwand, Antakya schon immer für alle offen gewesen, das sei doch gut so, warum bezahlen die westlichen Mächte Männer, die herkamen, um alles zu ändern?
Wir schauten uns an.
Dann kam eine andere Frau und las uns aus dem Kaffeesatz.
Dann kamen viele andere, der Salon füllte sich. Die Frauen sprachen Arabisch miteinander und lachten und wir lachten mit denen, niemand wollte die andere loslassen. Kinder liefen rein und schossen auf uns mit Plastikpistolen. Männer rauchten vor der Tür Wasserpfeiffe und der Duft vermischte sich mit dem Nagellackgeruch. Als wir gingen wurde es schon dunkel.
Wir landeten auf einer Terrasse und sollten eine Performance sehen. Wir schauten in die Berge um uns, hinten auf dem Hügel erleuchtete das Profil von Atatürk. Die Besucher tranken Wasser und Bier. Ich machte Fotos von nackten Zehen auf Teppichen, dem Vollmond und Atatürk.
Auf der nächsten Terrasse sprach uns ein Mann an, ob wir Journalistinnen sind, er würde gern mit uns sprechen. Nach all dem, was wir gehört haben, hätte er vom CIA, Mossad oder einfach nur ein Depp sein können, der uns anbaggern wollte. Oder ein echter Flüchtling, aber das kann niemand genau sagen hier. Um die echten Flüchtlinge kümmert sich hier keiner, alle haben Angst vor denen, die kommen, um zu kolonialisieren: sich mit Familien in den Camps einrichten, um nachts rauszukriechen und die Gegend zu vergiften. Sie schießen auf das Krankenhauspersonal, das versucht syrische Asylsuchende zu verarzten. Die Taktik ist Destabilisierung, das Ziel ist bekannt.
Und weißt du was? Das Wasser des Ewigen Lebens, das unter der Erde dieser Region fließt, ist eine Bitch oder eine Lüge, vor der nicht mal die Gläubigen mehr Achtung haben. Sie waschen ihre Gewehre darin.
Wir torkelten in das Blau unseres Zimmers. In die Stube von Barbara, einer Nonne, die aus Deutschland hergekommen war.
Wir machten keine Pläne mehr näher an die Grenze zu kommen. Wir hatten weder schusssichere Westen noch Passierscheine, die Gegend war unter Beschuss.
Nach Interviews in den von Generatoren erhitzten Straßen – es gibt zum Teil nur so Strom – und Nächten auf Terrassen zwischen Bergen und Rakı und Fragen, zahllosen Fragen, setzten wir uns in die Maschine zurück nach Istanbul. Schon auf dem Weg zurück kamen Nachrichten von denen, die wussten, wo ich gewesen war, ob ich noch lebe. Türkei hätte Syrien den Krieg erklärt und fordert die Nato zur Unterstützung auf. Gleichzeitig macht die Türkei gerade Shakehands mit dem Iran, der Hamas und Gerhard Schröder. Und Putin hat Großes mit Syrien vor und mischt kräftig mit. Die Grenzen werden regiert von Männern, die von den USA bezahlt werden. Emre, wenn es kommt, wie es gerade kommt, dann sind die Witze vom dritten Weltkrieg keine Witze mehr.