Wofür wir stehen, wofür wir tanzen
„Wenn ich zur eurer Revolution nicht tanzen kann, will ich kein Teil von ihr sein“, sagte Emma Goldman dem Mann, der fand, dass es sich für eine Revolutionärin nicht gehört, die Beine so von sich wegzuschmeißen.
Feiern ist ein wichtiges vereinendes Moment. Wo wäre Wiederstand ohne Feiern? Wir geben uns Kraft, wir machen uns Mut. Es ist CSD-Saison und wir tanzen. Wir sind Berlin. Wir sind BVG. Wir sind Tourismusmagnet, Nachtleben, Mode. Alle unseren heterosexuellen Freunde sind stolz auf uns und wir mit ihnen. Darauf, wie weit wir es geschafft haben. Es ist 2016. In diesem Jahr wurde die große Christopher Street Day-Parade in Berlin auf Juli verschoben, weil die Fußball-Europameisterschaft zu viel Aufmerksamkeit von unseren Feierlichkeiten zieht.
In diesem Jahr sind wir die toleranteste Stadt Deutschlands und eine der beliebtesten Ziele für Marginalisierte weltweit. Queers aus der ganzen Welt leben hier ihre Diaspora. Wir sind: der gute schwule Freund, die lesbische Künstlerin, der queere Nachtclub. Wir sind das Freakige, das Schillernde, das Verruchte. Vielleicht sind wir auch der Anzugträger, der es gerne in Darkrooms mag und die Butchlesbe hinter dem Tresen. Das sind Positionen, in denen wir geduldet und ein bis zwei Mal im Jahr gefeiert werden. Sich in anderen Lebensbereichen zu outen ist nach wie vor weniger glamourös. Unser uns tolerierendes Umfeld hat uns genau dort, wo es uns braucht: In Clubs, auf Straßenumzügen, beim European Song Contest. Das Staraufgebot auf den Queer Days ist beachtlich, die Werbung dafür scheint überall präsent zu sein und man kriegt kurz das Gefühl, dass wir gewünscht sind. Gewünscht wofür?
Dieses Jahr hat der Ministerrat der Europäischen Union erstmalig ein Forderungspapier für die Rechte der LGBTI innerhalb der 28 Mitgliedstaaten beschlossen unter der Einschränkung, dass die Gleichstellungsmaßnahmen nur durchgeführt werden sollten „unter umfassender Wahrung der nationalen Identität“. Demnach wäre Diskriminierung Bestandteil eines nationalen Selbstverständnisses. Naheliegender Weise hat das Auswirkungen auf die Urteile der Judikative, der Legislative, der Exekutiven und der Medien – unserer vier Gewalten. Queer-feindliche Demonstrationen und Reden rechtspopulistischer Parteien, die sich derzeit im Aufwind befinden, belegen das.
In diesem Jahr fand in den USA, im Bundesstaat Florida der blutige Angriff auf die LGBTI Community statt. Orlando steht ab jetzt nicht mehr für die namensgebende Hauptfigur von Virginia Woolfs Roman um einen Körper, der aller Normierung entflieht. Ab jetzt steht Orlando für die Schießerei während einer Latinix Queer Party, bei dem 49 Menschen starben, 53 verletzt wurden. Die Community musste Tage darauf warten, dass der Sachverhalt korrekt benannt wurde: Es war kein Schwulenclub, es war ein LGBTI Space. Es war nicht einfach bloß eine Party, es war ein Zufluchtsort für diejenigen, die mit ihren Lebensstil sich sonst nirgendwo sicher wähnen. Es war eine ausgewiesen nicht-weiße Veranstaltung, zu der Transfrauen und Dragqueens auf den Flyern luden. Das alles fiel vom Tisch bei den europäischen Stellungnahmen zu dem Massaker, welche die Klammer „Angriff auf Freiheit und westlichen Lebensstil“ um die Ereignisse zogen. Der Umstand, dass der Täter ein Moslem war, heizte die Berichterstattung kurz ein, als die Vermutungen sich zuzogen, dass es sich um internalisierte Homofeindlichkeit und Rassismus eines Schwulen handelte, an dem die Gesellschaft, in der er lebte, durchaus einen Anteil haben könnte, ebbte das Medienecho ab.
Die Bundeskanzlerin brauchte vier Tage, um zum Verbrechen in dem Club „Pulse“ Stellung zu beziehen. Sie verurteilte den Angriff und schob im selben Kontext (auf facebook) hinterher: „Für mich persönlich ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau.“ Eine politische Entscheidung wird hier als persönliche Meinung erzählt. Mit schwerwiegenden Folgen.
In diesem Jahr veröffentlichte das Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig die Studie „Die enthemmte Mitte“. Aus dieser geht hervor, dass 40,1 Prozent der Deutschen homosexuelle Küsse als „ekelhaft“ empfinden, 24,8 Homosexualität für „unmoralisch“ halten und 36,2 gegen die Homo-Ehe sind. Es ist 2016 und wir tanzen.
In diesem Jahr entschied die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass homosexuelle Männer, die auch nach 1945 noch systematisch nach § 175 des Strafgesetzbuches verfolgt wurden, kollektiv zu rehabilitieren sind. Diese Männer sind zum Teil aus den Konzentrationslagern direkt in Haft gegangen in BRD wie DDR. Wie kann es sein, dass man ihnen erst jetzt zubilligt, dass sie zu ihrem Recht kommen und wer hat für sie eingestanden?
Die Triangel von Gewalt geht so: Es gibt eine angegriffene Person, eine angreifende und dann gibt es noch die dritte Gruppe – die, die sich nicht zu der angegriffenen Person bekennt.
Für das Opfer kommt das unmittelbare Übel von der ersten, das nachhaltige von der letzteren Gruppe. Für die angegriffene Person ist es keine Überraschung, dass ein Mörder mit Hass auf ihren Lebensstil zur Waffe greift. Dass sie aber keinen Rückhalt erfährt während der Tat und danach gesagt bekommt, sie sei nicht gleichwertig, produziert eine Verletzung, die lebenslang nachhallt. Daran ändern auch aufwendige Solidaritätsbekundungen wie Regenbogenfarben auf dem Brandenburger Tor nichts (dieses Zeichen wurde in Berlin deutlich später gesetzt als in vielen anderen Metropolen). Das eine ist Spektakel, das andere ist gelebte Realität. Die Erfahrung in Gefahrsituationen nicht unterstützt zu werden, wird in ein Wissen überschrieben. Es hat für immer Auswirkungen darauf, wie ein queerer Körper sich zu dieser dritten Gruppe, die sich als Mehrheit gebärdet, verhalten wird. Es geht nicht darum, dass diese Mehrheit nicht selber schießt. Es schießen immer Einzelne. Aber nur weil sie nicht geschossen hätte, heißt es nicht, sie hätte verteidigt. Hat sie nicht. Das kann sie nicht. Denn die Angriffe dieser Einzelnen entspringen den Gewaltstrukturen dieser dritten Gruppe.
Diese sogenannte Mehrheit empfindet queer als Störfaktor – das ist auch so gemeint. Queer hat keine Übersetzung im Deutschen, aber wenn man es versucht, dann kommt das Wort „seltsam“ dem Wort am nächsten. Die Geschichte des Begriffs ist ein permanentes Auflehnen gegen die Normierung. Gegen Fremdzuschreibungen. Für ein Recht auf Selbstdefinition. Queere widersprechen mit ihren Zielen, ihren Wünschen, ihrem Begehren der festgelegten Hierarchie. Mit ihrem Lebensstil greifen sie ein in Arbeits- und Familienrecht. In feststehende, auch nationale, Identitätsbilder. In eine Ordnung, die gewaltvoll ist, weil sie so viele ausschließt. Queer ist das Prinzip von Destabilisierung einer vorgegeben Nahrungskette von Privilegien. Darum kann der Versuch, Teil einer Mehrheit zu sein, nur scheitern. Diese Mehrheit will von uns Unsichtbarkeit („solange ich es nicht sehe, kannst du machen, was du willst“) oder vereinnahmt uns („meine lesbische Kollegin will auch keine Araber als Nachbarn“). Sie hat Angst vor unserer Emanzipation.
Für Emanzipation brauchen wir klare Positionen, sichtbare Vertretung, sichere Räume. Wir brauchen Verbündete. Nur so ist ein Ausbrechen aus der Triangel der Gewalt möglich, ein Ausbrechen aus der Opferhaltung. Wenn wir beim CSD tanzen, tanzen wir gegen den herabwürdigenden Blick auf Tunten, für die Rehabilitierung der von dem §175 Betroffenen, für das Anerkennen von Trans und Inter als gleichberechtigte Geschlechter. Wir tanzen für Geflüchtete. Für geflüchtete Queers. Für Rechte von Menschen in allen ihren Differenzen. Wir, die die Erfahrung um Ungehaltensein in uns tragen, werden bestehen, weil wir Allianzen schließen mit anderen Ungehaltenen.
Die Geschichte der Minderheiten im 20. Jahrhundert zeigt, dass weder die Ghettoisierung noch Assimilation schützen. Für uns heute 2016 stellt sich also die Frage, wie wir sichtbar bleiben außerhalb der uns zugebilligten Räume. Wie wir als Queers auftreten und handeln. Wie wir das, was wir sind, in die Büros, auf die Straße, in unsere Texte und Gespräche mitnehmen. Es geht die gesamte Gesellschaft etwas an. Und sie hat uns auszuhalten.