Meteoriten
ROY
Europa. Europa, Europa. Wo war Europa, bevor sie zu der Fotze wurde, als die wir sie heute kennen? Diese trockene, rachsüchtige Fotze, die sie heute ist, wo kommt sie her? Türkei. Dort war sie, ehe sie nach Kreta verschleppt wurde. Und sie ist auch nicht immer eine Fotze gewesen.
Unsere gute Freundin Europa war vorher vor allem eine Reisende gewesen. Eine Königstochter, die, in einer Sänfte getragen, durch ganz Asien zog. Und sie war eine Sammlerin. Sie ließ sich von Sklaven in ihre Sänfte alles bringen, was ihr auf ihren Reisen begegnete. Legte Himmelsbeobachtungen und Kothurnen, Masken und Formeln in leere Bäuche von Muscheln und nähte sich diese an das Innere ihres Gewandes. Die Muschelschalen klackerten im langsamen Takt der Sänfte und streiften ihr Fleisch.
Eines Tages näherte sich ein leuchtender Stier ihrem Gefolge. Sein Fell glänzte wie ein Diamant, so dass die Sammlerin nicht anders konnte, als die Hand nach ihm auszustrecken. Allein der Kopf des Tieres war so groß wie Europa selbst. Derart angetan war sie von seinem Leuchten, so hypnotisiert, dass sie nicht merkte, dass sich hinter der Verkleidung des Tieres der höchste aller Götter, Zeus, persönlich verbarg. Ihre Hand wurde von dem Fell magisch angezogen. Kaum berührten die Finger das seidene Haar, zog sie sie auch schon erschrocken zurück, nur um ihre Hand sogleich wieder darin einzutauchen. Fast wie von selbst stieg Europa aus ihrer Sänfte und setzte sich auf den Rücken des Stiers. Vorsichtig schlich Zeus, sich seiner Beute sicher, mit ihr davon. Erst in kleinen Schritten, dann immer schneller floh er mit der Jungfrau auf dem Rücken, die bitter aufschrie, als sie zur Besinnung kam, die Hörner des Gottes aber nicht losließ, aus Angst zu stürzen und in tausend Stücke zu zerbrechen. Unter ihrem Gewand klackerten ihre Sammlerstücke im Takt der Hufschläge des Stieres und schnitten ihr ins Fleisch.
Nicht wissend, wohin er die Beute bringen sollte, sprang Zeus mit der heftig Weinenden ins Wasser. Seine Augäpfel blutrot, trug er sie in die Fremde, wo er sie vergewaltigte und schlug und ihr Kinder zeugte, die sie hasste, aber nicht tötete, denn sie wollte sich nicht die Hände schmutzig machen, und sie verfluchte alles, was sie gebar und was von den Göttern kam. All die Muscheln an ihrem Gewand musste sie abgeben, damit sie vergaß, woher sie kam und dass es schon vor ihr eine Geschichte gegeben hatte. Sie wurde untersucht, in all ihre Körperöffnungen wurde geschaut, und es gab keine Scham mehr für sie. Die Inhalte ihrer Muscheln wurden in alle Himmelsrichtungen verstreut, so dass Europa – leer, ohne Erinnerung –, in einen Wahn verfiel. Sie erfand sich einen eigenen Gott, der nur an sich selbst glaubte und alle anderen Götter verneinte.
Mehrmals am Tag fiel sie auf die Knie und betete zu ihrem Erfundenen und bat ihn, die zu vernichten, die ihr Leid angetan hatten, und Kriege und Krankheiten über sie zu schicken. So halluzinierte sie, innerlich doch in tausend Stücke zerbrochen, vor sich hin, bis sie zu einem unfruchtbaren Stein geworden war, den niemand mehr haben wollte.