DESINTEGRATIONS-KONGRESS
Der gesamte Kongress auf YouTube:
youtube.com/maximgorkitheater
Mehr Informationen auf der Facebook-Seite:
facebook.com/Desintegrationskongress
Und hier:
www.3sat.de/mediathek
9. Sasha an Max, 09.04.16
Shabbat Salom. Sage ich manchmal, um Leute zu ärgern. Also so sehen sie aus, als würde ich es tun, um sie zu ärgern. In ihren Blicken: Was will sie damit sagen? Ist das so eine Art Ausschluss, warum drückt sie mir das auf? Manchmal natürlich auch die feuchten Augen in Hoffnung, mein Gruß bedeutet, ich schließe sie in den Kreis der Auserwählten ein. Ich tue weder noch. Ich habe damit angefangen so wie ich Iyi geceler, birtanem sage und dann sprach ein Freund mich auf meinen Davidstern an und sagte, er findet es toll, dass ich allen damit Fuck you sage, das war mir vorher gar nicht so bewusst, aber keine Entwicklung ohne das Spiegeln in einem Draußen. Das sagen also die Spiegel, wenn ich ich bin: Fuck you. Warum nicht.
Du sagst, du siehst an meinen Briefen wie viel ich auf Reisen bin, nun bin ich in Berlin und immer noch ein Gast und ich will´s auch so. Gastfreundschaft ist das höchste der Gebote, in der Thora noch vor dem Blutsrecht, also bei den Christen und den Moslems auch? Familie steht weit hinter der Pflicht, einen Gast aufzunehmen in dein Haus, ihn zu bewirten und zu pflegen, darum wurde Sodom und Gomorra zerstört, weil die Bewohner*innen sich nicht dran hielten. Und es ist seltsam, wenn ich überlege, dass die gängige Meinung ist, die beiden Städte wurden wegen – Stadt ist Namensgeber – Sodomie, sexueller Perversion, zerstört und eigentlich steht da schwarz auf weiß: Weil Lot die Engel nicht rausgeben wollte, die bei ihm zu Gast waren.
Gut, er sagte: Nehmt lieber meine Frau und Töchter als die Engel, aber das sind die Lesarten der Heiligen Schriften, die nicht zu queeren sind. Also zurück zu Gastfreundschaft. In diesem Land: Ich schlage Taxifahrern Türen ihrer Autos um die Ohren, weil sie sich über Türken aufregen, ich sehe Dealer und Polizei ihre Schachformationen um den Görli abstecken, ich sehe Queere, die sich einen Panzerkreuzergang zulegen, wenn sie über den Kotti müssen, ich rieche mehr Angst, es riecht jetzt viel mehr nach New York, findest du nicht auch? Das gute Essen fehlt. Und die Menschen könnten schöner sein. Aber ich habe Hoffnung, dass wir in 20 Jahren uns genug vermischt haben, dass der Stereotypen eines Deutschen schwarze Locken hat.
Vermischung ja, aber nicht Gleichmachung.
Dieses Diversität nicht aushalten wollen ist so Europa: 2000 Jahre waren wir ausgeschlossen, jetzt versuchen sie uns gleich zu machen. Als hätten wir eine Gemeinsames, ein Unseres, das gleichberechtigt ist. Ich bin nicht gleich. Mit niemandem. Nicht mit den Christen, nicht mit den Beschnittenen, nicht mit meiner Mutter. Ich will es gleichberechtigt zu den anderen Erzählungen stehen lassen, ich will mit den lebenden Toten auf meiner Schulter trauern und feiern. Es ist kein Fuck you, wenn ich sage, du bist nicht wie ich. Vielleicht haben die USA uns das voraus – sie wissen, dass sie unterschiedlich sind und feiern es, auch gegen und auch miteinander.
Ich feiere einfach. Meine eigene Party. Suche Allianzen, gehe ins Südblock zum Romaday, halte mich an Rosen von den Mädels fest, die mir zuklatschen, gehe Sonnenblumenkerne essen in der Oranienstraße, setze mich zu den Jungs aus Syrien in meinem Wohnzimmer und sage: Shabbat Salom.
Dort bin ich Gast, dort bin ich willkommen. Das reicht mir aus. Iyi geceler.