Beg your pardon
1. Szene
(In seinem Büro. Auf dem Meetingtisch stehen Wasserflaschen mit seinem Gesicht darauf. Er ist ein gut gekleideter Mann Mitte fünfzig. Wir können ihn nicht sehen, er sitzt mit dem Rücken zu uns. Thea sitzt ihm gegenüber, man kann ihren Bauch hinter dem Tisch nicht sehen. Hinter Thea ist auf großem Bildschirm das Gesicht von ihm zu sehen. Wie Fernsehdebatte. Er wirkt erst mal verdammt freundlich. Thea erst mal verdammt schüchtern.)
Er: Das Problem unseres Landes ist die Liebe.
Thea: Ja?
Er: Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?
Thea: Mir? Nein. Noch nicht.
Er: Sie sind eine schöne Frau, kokettieren Sie nicht.
Thea: Wie meinen Sie das?
Er: Ist Ihnen schon mal ein Verehrer zu nahe gekommen?
Thea: Mich bedrängt, meinen Sie?
Er: Ja.
Thea: Ja.
Er: Na sehen Sie.
Thea: Was sehe ich?
Er: Das ist das Problem. Das ist das Problem unseres Volkes. Wir haben Studien anfertigen lassen. Wir wollten es wissen. Was ist unser Volk. Mit allem drum und dran. Nicht nur die schönen Seiten, die kennt jeder – Loyalität, Freigeist – Wir wollten auch die dunklen Seiten. Sehen Sie, man muss lernen, wo man Grenzen zieht. Bis jetzt führte die Regierung eine sehr schwammige Debatte. Das führte zu Verwirrung. Das führte zu unnötigen Fragen, zu Skandalen gar, weil kein Politiker genau wusste, wovon er sprach. Wir hoffen, dass mit uns im Parlament die Dinge klarer werden. Weil wir uns trauen, sie anzusprechen und klar zu benennen.
Thea: Und was hat das mit Liebe zu tun?
Er: Liebe? Ach so. Krankhafte Liebe. Die Liebe, die ich meine, ist eine obsessive, die übergriffig wird. Anderen Menschen schadet. Psychisch und physisch.
Thea: Und das ist – was?
Er: Das ist die Krankheit unserer Gesellschaft. Das ist uns eigen.
Thea: Ich verstehe nicht.
Er: Wir haben Nachforschungen angestellt, wie sich die Gewalt unseres Volkes äußert. Wir müssen dem klar gegenübertreten. Auch unser Volk hat Schwachstellen. Dazu müssen wir stehen. Und das, was uns auszeichnet, ist der krankhafte Trieb zum Stalking.
Thea: Stalking.
Er: Beschatten von Verflossenen. Unglückliche Lieben.
Thea: Das ist unser Problem?
Er: Unsere Schwachstelle. Ja.
Thea: Und das haben Sie erforscht im Zusammenhang mit –
Er: Es geht uns um Gewalt. Wie entsteht Gewalt. Welche Gewalt ist uns eigen. Und welche den anderen.
Thea: Ach so.
Er: Unsere Gewalt ist die sexuelle.
Thea: Ich verstehe nicht ganz, ich habe Sie zu dem Einbürgerungstest gefragt.
Er: Aber Sie verstehen, was ich meine?
Thea: Was ist die konkrete Motivation hinter dem Einführen des neuen Einbürgerungstests?
Er: Fahren Sie Auto?
Thea: Ob ich Auto fahre?
Er: Ja. Haben Sie einen Führerschein?
Thea: Ja.
Er: Das ist genau so. Das ist so wie mit Ihrem Führerschein. Man kann ihn Ihnen nicht einfach geben, weil Sie in die Fahrschule kommen. Ein Auto ist eine Waffe. Ein Werkzeug, das Sie benutzen und andere damit automatisch gefährden, sobald Sie in die Öffentlichkeit treten. Sie können sich nicht einfach reinsetzten und fahren, eine solche Fahrschule würde sofort geschlossen werden, die so unverantwortlich handelt. Zu erst lernen Sie, wo was ist und nach welchen Regeln funktioniert und dann kriegen Sie den Schlüssel. Das ist doch einfach. So ist das mit diesem Einbürgerungstest auch. Leute wollen hier rein. Sie kennen die Regeln nicht. Sie kennen das Gerät nicht, sie wissen nicht das Baujahr, wo die Motorhaube aufgeht, ob man Benzin oder Diesel tankt. Die Maschine hat gute Chancen gegen die Wand gefahren zu werden, wenn sie es überhaupt von der Stelle schafft. Und vorher niemand umgefahren hat. Also machen wir Gesetzte. Wir fordern, von jedem, der in unser Land will, dass er sich mit dem auskennt, auf das er Ansprüche stellt. Man sagt, dass die meisten Einheimischen diesen Test auch nicht bestehen würden. Es gibt Prüfungen. Einige Zeitungen haben sich den Spaß gemacht, Landsleute diesem Test zu unterziehen und die Ergebnisse sind überall gleich: der Einbürgerungstest ist nicht zu schaffen. Er ist unmenschlich. Und die, die ihn fordern sind es auch. Es wird sofort das Wort Diskriminierung benutzt oder gar Rassismus. Dabei sollten wir daraus eine ganz andere Konsequenz ziehen, nämlich, dass unsere Bürger an einer Bildungsmisere leiden. Wir müssen an unsere Schulen heran, an die Kindergärten, Ausbildungsstätten. Stattdessen begnügen wir uns damit, vieles nicht zu wissen und auch nicht wissen zu wollen und nehmen das als Rechtfertigung für das Schmähen von Gesetzten, die die Stabilität unseres Landes sichern könnten auf lange Sicht. Sehen Sie, ich habe meinen Führerschein vor mehr als 20 Jahren gemacht. Ich weiß auch nicht mehr alles. Einige der Fahrregeln sind mir fremd und fragen Sie mich ja nicht, was man macht, wenn die Kühlung ausfällt. Im Grunde müsste ich als Autofahrer aus dem Verkehr gezogen werden. Ich bin ein gefährlicher Fahrer. Ein Risiko für die Allgemeinheit.
Thea: Also dieser Test. Ich würde ihn bestimmt nicht bestehen.
Er: Haben Sie es schon probiert?
Thea: Nein. Einige Fragen habe ich mir angeschaut. Aber.
Er: Das ist nicht Ihr ernst. Auf so einer Basis kann man nicht argumentieren.
Thea: Ich argumentiere nicht, was ich sagen will, ist –
Er: Machen Sie doch den Test. Finden Sie über sich raus, was Sie noch nicht wissen und dann gehen Sie in die Bibliothek. Oder in die Abendschule und holen es nach.
Thea: Machen Sie das auch?
Er: Was?
Thea: Haben Sie Ihren Führerschein abgegeben?
Er: Ich muss ihn nicht abgeben. Man muss seine Staatsbürgerschaft nicht abgeben. Man muss dafür arbeiten. Kämpfen.
Thea: Es sich verdienen.
Er: Genau.
Thea: Ich weiß nicht, ob es etwas bei mir bringt.
Er: Sehen Sie, das Problem der Frauen ist, dass sie denken, Bescheidenheit ist attraktiv.
Thea: Wie bitte?
Er: Sie als Frau denken, das Provozieren der Komplimente, macht Sie interessanter. Sie erwarten von mir jetzt sicherlich, dass ich Ihnen die Hand tätschle und Sie aufmuntere, nicht so schlecht über sich zu denken. Dabei könnten Sie einfach mal diesen Einbürgerungstest machen, rausfinden, dass Sie viel klüger sind, als sie denken und damit angeben vor mir. Das stünde Ihnen besser.
Thea: Was stünde mir besser?
Er: Dazu zu stehen, dass Sie klug sind.
Thea: Das wissen Sie doch gar nicht.
Er: Bitte, Sie bombardieren mich seit einer halben Stunde mit Fragen zu der Einwanderungspolitik meiner Partei.
Thea: Ich bombardiere Sie?
Er: Ja. Indirekt. Sie haben die defensive Strategie gewählt und denken, wenn man mich sprechen lässt, wird mir schon etwas rausrutschen, was Sie für Ihre Studie verwenden können. Etwas, was ich selber nicht gemerkt habe. Die chinesische Haltung.
Thea: Was ist die chinesische Haltung?
Er: Ich wette, wenn ich Ihnen das erzähle, wird das irgendwie falsch rauskommen, dass ich unsere chinesischen Mitbürger angegriffen habe in einem Nebensatz. Aber damit Sie es wissen – betreiben wir ein bisschen Algemeinbildung – der Chinese wartet immer auf die Aktion des Gegners und reagiert dann. Er greift niemals als erster an. Er sitzt am Ufer und lässt die Leichen seine Feinde vom Fluss an ihm vorbei tragen. Altes chinesisches Sprichwort.
Thea: Und Sie sind dann meine Leiche?
Er: Worum geht es Ihnen genau? Seien Sie mal konkret. Ihrer Wortwahl nach zu urteilen, haben Sie die Artikel über mich in den letzten Gazetten gelesen, weil Sie wussten, dass wir uns begegnen, aber für gewöhnlich lesen Sie nur Feuilleton. Sie verstecken, was Sie mir eigentlich sagen wollen, weil Sie denken, dass ich das Gespräch daraufhin beenden werde. Aber vielleicht versuchen Sie es einfach mal.
Thea: Was ich denke?
Er: Ja.
Thea: Über Sie?
Er: Über mich, meine Partei. Die Politik, die wir machen. Es geht doch um die neuen Gesetzte, die wir im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen verabschieden, die uns als Monster dastehen lassen. Alle sind höflich empört und freuen sich, dass es einen schwarzen Peter gibt, der die Drecksarbeit macht, den Gürtel enger zu ziehen, damit sie sich dagegen empören können. Das Volk wird so gern empört. Und doch ist die Volkspartei so erfolgreich, wie noch nie zuvor in diesem Land. Niemand sagt laut, was alle denken. Also tun Sie es doch mal. Das würde Ihnen stehen.
Thea: Was ich denke.
Er: Denken Sie was?
Thea: Ja.
Er: Und was?
Thea: Ich glaube nicht, dass Sie es hören wollen.
Er: Ist das wieder Ihre falsche Bescheidenheit, dass Sie es nicht sagen wollen?
Thea: Es wird Ihnen nicht gefallen.
Er: Machen Sie sich keine Sorgen, davon gehe ich aus.
Thea: Ich denke an Ihre Haut.
Er: Wie bitte?
Thea: An Ihre Haut. Ich denke an Ihre Haut.
Er: Meine Haut?
Thea: Ich denke, Sie haben eine so schöne, so makellose – Das habe ich schon beim Händedruck gemerkt, dass Ihre Haut – Und jetzt schaue ich in Ihr Gesicht und es ist so – straff. Viel straffer als meins. Sie wirken ein wenig überirdisch auf mich. So viel Sonne gibt es in diesem Land gar nicht, dass Sie so strahlen können, aber diese leichte Bräune ist auch keine aus dem Solarium, das würde man sehen. Ich benutze täglich zwei Cremes, morgens und eine für die Nacht, aber Sie, sie strahlen richtig. Sie haben eine so glatte Haut. Spannt sie nicht? Liften Sie? Haben Sie sich mal liften lassen?
Er: Ob ich mich was?
Thea: Operiert. Jünger gemacht. Weil ich bin wirklich einige Jahre jünger als Sie, aber ich kriege Komplexe, wenn ich vor Ihnen sitze.
Er: Wegen meiner Haut.
Thea: Und wegen Ihres Lächelns. Trainieren Sie? Ich weiß, das werden Sie mir nicht beantworten, aber wenn Sie wissen wollen, was ich seit einer halben Stunde denke ist, wie es ausgesehen haben muss, wenn Sie jeden morgen vor dem Spiegel Ihr Lächeln so trainiert haben, dass es jetzt sitzt. Das geht gar nicht mehr raus, das Lächeln. Selbst jetzt, wo ich Ihnen das alles sage, lächeln Sie.
Er: Tatsächlich?
Thea: Was für eine Creme benutzen Sie?
Er: Ich lächle Ihnen zu viel.
Thea: Nicht zu viel. Es beeindruckt mich einfach. Sie beeindrucken mich. Sie sitzen hier seit einer halben Stunde vor einer jungen Frau, die die Weite ihres Ausschnitts sehr sorgfältig ausgewählt hat für dieses Gespräch hier mit dem Repräsentanten der Volkspartei, und starren völlig ungeniert auf meine tatsächlich sehr groß gewordenen Brüste und ich habe schon das Gefühl sie fassen sie an mit ihren Augen.
Er: Wie bitte, Verzeihung, ich glaube, da habe Sie etwas missverstanden –
Thea: Ich würde gern Ihr Gesicht anfassen. Hätten Sie etwas dagegen? Ich bin ehrlich, ich starre ihr Gesicht an, so wie Sie meine Brüste. Darf ich Ihr Gesicht anfassen, das wird mich nämlich noch den ganzen Tag verfolgen, ich werde mich noch schlaflos im Bett wälzen und fragen, ob es sich anfühlt wie Plastik oder nicht.
Er: Verzeihung.
Thea: Was?
Er: Ich glaube, ich verstehe nicht ganz.
Thea: Was verstehen Sie nicht?
Er: Ich verstehe nicht, was Sie mir sagen wollen.
Thea: Spreche ich in Rätseln?
Er: Verzeihung.
Thea: Was haben Sie nicht verstanden?
Er: Was – Ich weiß nicht. Worüber forschen Sie noch mal? Ist das so eine Frauenforschung? Geht es dabei um – Wie Frauen wahrgenommen werden in der Gesellschaft – Von den Männern – Verzeihung.
Thea: Ich mache keine Frauenforschung. Ich bin eine Frau.
Er: Ja.
Thea: In Ihren Interview in der Neuen Zeit führen Sie diesen Fall an von dem Busfahrer, der gefeuert wurde.
Er: Ja.
Thea: Er hat sich geweigert eine voll verschleierte Frau mitzunehmen in seinem Bus.
Er: Ja.
Thea: Die Frau trug eine Burka und zeigte ihren Fahrausweis und der Mann verlangte von ihr, dass sie sich auszieht, damit er ihr Gesicht sieht.
Er: Ja.
Thea: In diesem Interview sprechen Sie sich für das Verbot von Verschleierung aus, weil Sie sagen, eine freie Gesellschaft ist eine, in der man sich ins Gesicht schaut.
Er: Ja.
Thea: Jetzt möchte ich von Ihnen hören, ob Sie Ihren Führerschein schon abgegeben haben oder mir sagen können, wo diese freie Gesellschaft existiert, wo sich jemand mal ins Gesicht schaut.
Trailer:
Kritik:
Artikel auf www.artiberlin.de
Artikel auf www.neues-deutschland.de